Ein Stolperstein für ein Euthanasie-Opfer, vier für Menschen, die ermordet, vier weitere für Menschen, die fliehen mussten zur Zeit des Nationalsozialismus, sind in Rehburg verlegt
worden. Für unseren Arbeitskreis ist es die zweite Aktion dieser Art gewesen.
„Man ist ein Gringo – ein Niemand!“ So habe seine Familie sich gefühlt, angekommen im Jahr 1938 in Argentinien nach der Flucht aus Rehburg, wo sie sich ihres Lebens nicht mehr sicher wussten,
erzählt Jose Hammerschlag im Bürgersaal des Rehburger Rathskellers. In diesem Saal hatte seine Familie vor 77 Jahren einen großen Teil ihrer Habe verkauft, als sie meinten, dass es an der Zeit
sei zu fliehen aus ihrer Heimat, wo die Verfolgungen von Juden tagtäglich unerträglicher wurden. Nun steht Hammerschlag an diesem Ort, hat wenige Minuten zuvor erlebt, dass Stolpersteine verlegt
wurden für seinen Großvater Salomon Hammerschlag, seine Eltern Julius und Berny und für seine Tante Selma, die damals flohen.
Was es bedeutet, ein Flüchtling zu sein, erzählt er den rund 60 Menschen, die nach den Stolperstein-Verlegungen mitgekommen sind: aus Hoffnungslosem zur Hoffnung zu kommen, von Bekanntem zu Unbekanntem zu wechseln, vom Familiärem ins Fremde zu geraten. Obwohl die Familie damals in eine jüdische Siedlung in Argentinien floh, sei es nicht leicht gewesen – obwohl dort überwiegend Juden lebten, seien sie doch die Außenseiter gewesen, die die Sprache nicht konnten, sich anders verhielten, andere Sitten und eine andere Kultur hatten. Da sei es manchmal auch zu Anfeindungen gekommen. Zehn, 15 Jahre habe es wohl gedauert, erzählt Jose Hammerschlag, bis seine Eltern sich eingelebt hätten – danach hätten sie ein gutes Leben geführt. Jose Hammerschlag ist gemeinsam mit seiner Frau Evelyn und seinen Söhnen Ruby, Ariel und Yair aus Israel, wo sie mittlerweile leben, nach Rehburg gekommen, um bei der Verlegung der Steine dabei zu sein.
Parallelen werden einige Male gezogen an diesem Tag zu der Flucht der Familie Hammerschlag - die doch in Rehburg seit dem Jahr 1760 zu den Nachbarn gehörte und trotzdem, trotz dieser tiefen Verwurzelung im Ort, zum Opfer des Nationalsozialismus wurde - auf der einen Seite und der Situation der Flüchtlinge, die heutzutage nach Deutschland kommen andererseits. Parallelen ziehen viele Redner – von Moderator Fritz Erich Anhelm über Bürgermeister Martin Franke bis zu Michael von der Haar, Chefarzt des Bad Rehburger Maßregelvollzugszentrums, der einen Einblick in das perfide System der Nazis gibt, das diese mit dem Namen „Euthanasie“ bedachten und das der systematischen Vernichtung von Menschen mit Beeinträchtigungen diente.
Euthanasie ist ein weiteres Thema des Tages. Der erste Stolperstein, den der Künstler Gunter Demnig bei dieser zweiten Verlegung in Rehburg in das Pflaster des Gehweges setzt, ist nämlich für ein Opfer jenes Programms vorgesehen. Für Heinrich Dökel liegt der Stein nun in der Mardorfer Straße – er wurde zunächst in die Landesheil- und Pflegeanstalt Wunstorf eingeliefert, um schließlich in einer der Euthanasie-Vernichtungsanstalten der Nazis zu enden. Seine Lebensgeschichte tragen die Schüler Timon Aselmann und Justin Rust vor. Sie haben sich innerhalb unseres Stolperstein-Projekts intensiv mit Euthanasie auseinander gesetzt und mit anderen Jugendlichen eine Lesung konzipiert. Einen Teil des Elisabeth-Weinberg-Preises, den sie für diese Lesung bekommen haben, spendeten die Jugendlichen für Heinrich Dökels Stolperstein.
An der dritten Verlegestelle des Tages sind in 2014 bereits Steine gesetzt worden. Zu dem Ehepaar Jakob und Jeanette Löwenstein gesellen sich nun deren Tochter Erna, ihr Mann Alfred Birkenruth
und die Söhne des Paares, Hans Siegfried und Walter – die allesamt in das Ghetto Warschau deportiert und ermordet wurden. Demnig setzt die Steine in das Pflaster, die Taizé-Singgruppe der
Kirchengemeinde Rehburg singt ein Lied, eine weiße Rose für jedes der Opfer wird neben die Steine gelegt – dann herrscht Stille unter den versammelten Menschen, die auch durch den
vorbeirauschenden Verkehr an der Mühlentorstraße nicht beeinträchtigt wird.
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