Ehrenamtspreis für unseren Arbeitskreis

Bürgermeister Franke: "Nie wieder ist jetzt!"

Vieles war anders beim traditionellen Empfang der Stadt zum 1. März – dem Geburtstag Rehburg-Loccums, entstanden 1974 durch die Gebietsreform. Stand im Jahr zuvor Bischof Ralf Meister am Pult, um das Ehrenamt zu loben, so stürmten dieses Mal vier OBS-Schüler:innen die Bühne.

 

 Avan, Marika, Jano und Sibhan hatten Lust darauf, das Ehrenamt einmal anders in den Mittelpunkt zu rücken - und stellten auch den Preisträger von „TOP in Rehburg-Loccum“ vor:

„Die mit den goldenen Steinen auf den Bürgersteinen und auch die mit den Kreuzen ohne Haken.“ Kurz und prägnant fassten sie unser Erscheinungsbild zusammen.

 Den Menschen, die in der NS-Zeit zum Schweigen gebracht wurden, wieder eine Stimme zu verleihen, sei der Ansatz. Das entstandene Leid könne zwar nicht rückgängig gemacht, aber Orte der Erinnerung geschaffen werden. Und Erinnern heiße, Verantwortung zu übernehmen – für jetzt und immer. Auch mit den Kreuzen ohne Haken, die der Arbeitskreis seit einigen Wochen überall in der Stadt aufstelle. Damit Geschichte sich nicht wiederhole.

 Die Laudatio ließ Bürgermeister Martin Franke folgen – auch im Namen der Jury, die sich aus Vertretern von Wirtschaft, Kirche, Kultur und Rat der Stadt zusammensetzt. In diesen Zeiten sei es nötiger denn je, die Demokratie zu verteidigen – weshalb Vertreter des Arbeitskreises Stolpersteine nun auf der Bühne stünden.

 

Ein Preisgeld für unsere Arbeit gab es dazu: Mit 1.000 Euro ist die Auszeichnung dotiert. Weitere 500 Euro legte das Kloster Loccum obendrauf. In unserer Geschichtswerkstatt wird die Würdigung nun mit einem kleinen Kunstwerk sichtbar, das Auszubildende der Unternehmensgruppe Wesling zu diesem Zweck geschaffen haben.

Laudatio

Bürgermeister Martin Franke hat uns seine Laudatio zur Verfügung gestellt - die wir hier gerne wiedergeben: 

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

 

vor nicht einmal einer Woche hat die Bundestagswahl stattgefunden. Wie die meisten von ihnen vermutlich auch, habe ich ab 18 Uhr gebannt auf die ersten Prognosen und später dann Hochrechnungen gewartet.

 

Kurz nach 18 Uhr kam die erste Prognose herein, für eine Hochrechnung war es noch zu früh. Und dann gab es den Moment, wo der Stimmenanteil für eine Partei prognostiziert wurde, die in ihren Reihen Rechtsextremisten duldet und die in Teilen als gesichert rechtsextrem gilt.

Die Zahl lautete 19,8% und ich weiß noch genau, wie meine erste unwillkürliche Reaktion war: „Gott sei Dank - unter 20 Prozent“.

Wenig später habe ich mich für diesen Gedanken geschämt, weil - es sind 20 Prozent! Jeder und jede Fünfte! Und es wurde im Laufe des Abends noch ein bisschen mehr.

 

Jeder fünfte Wähler, jeder fünfte Wählerin hat also eine Partei gewählt, die Rechtsextreme in ihren Reihen duldet, die in Teilen als gesichert rechtsextrem gilt und sich mittlerweile auch gar nicht mehr bemüht, das zu verbergen.

 

Ich möchte mich gar nicht weiter an dieser Partei abarbeiten und auch nicht an der Frage, ob denn nun alle Menschen die sie gewählt haben, ebenfalls Rechtsextremismus dulden bzw. sogar selbst als rechtsextrem bezeichnet werden müssen.

Mit Sicherheit ist das nicht der Fall. Selbst in dieser Partei dürfte wohl nur ein eher kleiner Teil so zu bezeichnen sein oder sich selbst so bezeichnen.

 

Das eigentlich Bedenkliche aber ist, dass der deutlich größere Teil dieser Wählerinnen und Wähler kein Problem damit hat - obwohl sie selbst nicht rechtsextrem sein dürften – trotzdem denen ihre Stimme zu geben, die Rechtsextremismus in ihren Reihen dulden.

Sie akzeptieren also, dass möglicherweise berechtigte politische Forderungen und Erwartungen, die sie haben, mit rechtsextremistischen Zielen, Methoden und Personen verknüpft werden.

 

Und damit muss man wohl feststellen, dass für eine doch sehr große Gruppe von Menschen in unserer Gesellschaft – bundesweit, wie lokal - wieder Dinge sagbar sind, die nicht sagbar sein dürfen, und die eben auch lange nicht sagbar waren.

Und was sagbar ist, kann vielleicht irgendwann wieder machbar sein, kann wieder tolerierbar sein oder vielleicht irgendwann wieder legitim werden und - man will es sich gar nicht vorstellen - wieder legal werden.

 

„Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“ – also die Reklamation von Meinungsfreiheit für Aussagen, die keine Meinung sind, sondern Hass, Ausgrenzung und Diskriminierung darstellen oder einfach Falschbehauptungen sind – wird zum Persilschein für Unsagbares. Neuerdings auch noch getragen von der Unterstützung populistischer Machtmenschen in Amerika, die das Vorgehen gegen Fake News und Hate Speech als Eingriff in die Meinungsfreiheit bezeichnen.

 

Alles das macht etwas mit einer Gesellschaft – auch der Dorf- und Stadtgesellschaft. Die spreizt sich nämlich und spannt sich zum Zerreißen an. Sie meidet den Austausch darüber, weil man sich ja nicht am Küchentisch, im Verein oder mit dem Nachbarn streiten will – dann lieber nicht über Politik sprechen.

 

Aber es muss drüber gesprochen werden, um die inneren Widersprüche in den „Argumentationsketten“ aufzudecken, um die Unwahrheiten nicht unwidersprochen stehen zu lassen und um die ja vielleicht berechtigten Sorgen und Nöte, gegen die man etwas unternehmen muss, nicht unter einem braunen oder eben blauen Kleister verschwinden zu lassen.

 

Wenn es noch irgendeiner triftigen Begründung gebraucht hätte, den Arbeitskreis Stolpersteine Rehburg-Loccum mit dem Bürgerpreis „Top in Rehburg-Loccum“ auszuzeichnen, dann ist es der, dass deren Arbeit uns das „Drüber reden“ aufzwingt.

 

Wir werden daran erinnert - und das auf eine sehr nachdrückliche und eindrückliche Art und Weise - was einmal in Deutschland sagbar war und wie aus „sagbar“ „machbar“ wurde. Die Mitglieder des Arbeitskreises zeigen auf vielerlei Art und Weise durch Vorträge, Ausstellungen, Führungen usw., wie kurz der Weg von „sagbar“ zu „machbar“ sein kann und mahnen unermüdlich und mit größerer Berechtigung denn je, dagegen einzutreten.

 

Wir erleben eine Zeiten- oder auch eine Epochenwende. Und manchmal denke ich, diese Begriffe sind nicht zu hoch gegriffen.

 

Der „Stern“ hat sich in seinem Leitartikel in der vergangenen Woche mit der Frage beschäftigt, was sich nach der Bundestagswahl nun alles in Deutschland ändern müsse. Und er hat den Artikel mit folgenden Sätzen eingeleitet:

 

Das Leben wird sich ändern!

Das ist die erste Wahrheit, die man den Menschen zumuten muss.

Sie werden nicht über jede Veränderung selbst entscheiden können!

Das ist die zweite Wahrheit!

Und für die meisten von ihnen wird das Leben erstmal nicht einfacher werden!

Das ist die dritte Wahrheit!

 

Man kann sogar etwas konkreter sagen, wo diese drei Wahrheiten uns treffen werden, denn Menschen meines Alters, auch noch die etwas älteren und allemal die Jüngeren erleben gerade den schmerzhaften Verlust von Gewissheiten, die sie ihr ganzes Leben begleitet haben.

 

1.      Wir sind in fortwährenden Friedenszeiten aufgewachsen!
Maximal haben wir den kalten Krieg erlebt, der ein bisschen an dieser Friedenszeit gerüttelt hat. Richtig gefährdet, so dass wir eine akute Bedrohung gespürt haben, war der Friede aber wohl nicht.

 

2.      Wir erleben unser ganzes Leben lang ständig steigenden Wohlstand!
Man mag sich fragen, ob es - frei nach dem alten Spruch: „Die Dosis macht das Gift“ - auch ein Übermaß an Wohlstand geben kann. Konstatieren muss man aber wohl, dass wir schon empört sind, wenn unser Wohlstand nicht mehr in einem Tempo weiterwächst, wie wir es gewohnt sind. Und damit meine ich nicht die, die Last haben, eine finanzierbare Wohnung zu finden oder sich etwas für das Alter zurückzulegen. Es gibt genug politische Aufgaben, dort für Entlastung zu sorgen, da will ich gar nichts kleinreden. Ich meine die, die mit vollem Bauch stöhnen - und die stöhnen häufig relativ laut.

 

3.      Wir haben uns daran gewöhnt, dass Probleme immer nur die anderen haben – egal, ob Klimawandel, Kriegsgefahr, Armutsrisiko, ja, sogar solche an sich selbstverständliche Dinge wie Trinkwasserverfügbarkeit oder bezahlbarer Wohnraum.

 

Alles das tut weh und diesen Schmerz können oder wollen wir nicht aushalten.

 

Der tatsächliche oder auch nur gefühlte Verlust dieser Gewissheiten schafft Unsicherheiten und führt eben zur zunehmenden Spaltung der Gesellschaft, setzt sie unter Druck und spült Rechtsextreme oder solche, die Rechtsextreme dulden, nach oben.

 

Und damit ist dann vielleicht auch klar, was das alles mit dem diesjährigen Preisträger, dem Arbeitskreis Stolpersteine, zu tun hat!

 

Sie weisen unermüdlich und eben sehr nachdrücklich daraufhin, dass kein Problem durch Hass, Ausgrenzung, Diskriminierung, durch Fremdenfeindlichkeit gelöst werden kann, sondern, dass alles das über kurz oder lang in Unfreiheit, Repression und auch Wohlstandsverlust führen wird und in die Katastrophe mindestens führen kann.

 

Wer seine Geschichte nicht kennt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen! …(Zitat des Philosophen George Santayana)

 

 

Das ist – neben all den wichtigen Dingen, die die Stolpersteine noch tun, die vielleicht wesentliche Begründung für die heutige Auszeichnung! Der AK legt den Finger in die Wunde, er konfrontiert uns mit der eigenen Geschichte. Nicht um zu belehren oder anzuklagen, sondern um zu mahnen und zum Drüber reden aufzufordern, denn: Nie wieder ist jetzt!

Heidtorstraße 1
31547 Rehburg-Loccum

Tel.: (0174) 9139598
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