3. Dezember 2014. WIe wünschen sich Landesbischof und Landesrabbiner das Gedenken an den Holocaust? Wie stehen sie zu der Verlegung von Stolpersteinen? Wie sollten die Religionsgemeinschaften miteinander umgehen und was können sie tun, ‚damit so etwas nie wieder geschieht’? Auf Einladung der Rehburg-Loccumer Stolperstein-Initiative haben Ralf Meister und Jonah Sievers ihre persönlichen Ansichten zur Erinnerungskultur in der ‚Romantik Bad Rehburg’ diskutiert.
Ralf Meister, Bischof der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, bezieht Position. Zuletzt öffentlich, indem er sich unter die Menge der Gegendemonstranten mischte, die sich versammelt hatten, als in Hannover ‚Hooligans gegen Salafisten’ demonstrierten. „Wenn der Landesrabbiner mich bei solchen Gelegenheiten nicht gesehen hätte, dann hätte ich es nicht ernst gemeint“, sagt Meister. Der Landesrabbiner in Niedersachsen, Jonah Sievers, sitzt neben Meister, während der dieses sagt – und neben Meister hat er bei der Gegendemonstration gestanden. Zu Formen des Widerstandes gegen Antisemitismus befragt, erzählt Sievers von der komplizierten Situation für die Juden. Dabei gehe es in erster Linie gar nicht um den „Bodensatz des Antisemitismus“, von dem ohnehin alle wüssten. Vielmehr zeige sich dieser Antisemitismus in seiner vollen Ekligkeit zu aktuellen Anlässen – wie dem Ausbruch des Gaza-Krieges in diesem Jahr. Zu solchen Gelegenheiten melden sich viele zu Wort, die nicht unbedingt diesem Bodensatz der Neo-Nazis zugeordnet werden.
Was Meister ernst gemeint hat, das ist sein Vorstoß zu einer kirchlichen Verfassungsänderung. Vor rund einem Jahr hat die Synode der Landeskirche diese beschlossen, ein Kernsatz darin lautet: „Im
Wissen um die Schuld unserer Kirche gegenüber Juden und Judentum sucht die Landeskirche nach Versöhnung.“ Diese Verfassungsänderung, kommentierte Meister seinerzeit, ergebe den klaren Auftrag,
gegen jede Form von Antisemitismus und Antijudaismus aufzustehen und konkret zu handeln.
Das Wissen um das Judentum müsse nun deutlich mehr in Schulen und Kirchengemeinden gebracht werden, sagte Meister. Mittel dafür habe die Synode gerade bewilligt, ein Arbeitskreis befasse sich nun mit der Umsetzung. Wichtig sei das in vielerlei Beziehung – gar nicht selten seien noch heute antijudaistische Predigten zu hören. Zusätzlich müsse auch der Dialog mit den jüdischen Gemeinden gefördert werden. Hilfreich sei die persönliche Nähe bis hin zur Freundschaft. An dieser Stelle stimmte der Rabbiner dem Bischof zwar zu – lenkte aber auch ein und führte die „Ungleichheit der Zahlen“ ins Spiel. Wo sei denn die nächste jüdische Gemeinde? In Hannover? Rund 50 Kilometer entfernt? Wie viele Christen stünden dann wie vielen Juden gegenüber? Es sei also schwierig, alle Bedürfnisse nach Dialogen zu befriedigen.
Als wichtig und richtig sahen es sowohl Sievers als auch Meister an, dass Erinnerung wach gehalten wird. An zwei Punkten setzte dazu Fritz Erich Anhelm an, der die Moderation der Diskussion übernommen hatte. Der Politologe und ehemalige Direktor der Evangelischen Akademie Loccum arbeitet selbst seit einem Jahr als einer unter vielen im Rehburg-Loccumer Stolperstein-Projekt mit. Für ihn sei das eine beklemmende und emotional aufrüttelnde Erfahrung gewesen, sagte Anhelm: auf die Geschichten derjenigen zu treffen, die einmal Nachbarn im Dorf gewesen seien. Sie innerhalb der Recherche als Persönlichkeiten kennen zu lernen. Und die erschreckende Erfahrung, dass er vorher nichts von ihnen und ihren Schicksalen gewusst habe.
Die Unterschiede der Erinnerung zwischen Stadt und Land waren das eine, was Anhelm erfahren wollte, das andere die ganz persönliche Meinung der beiden Männer zu dem Projekt der Stolpersteine –
Steinen zur Erinnerung an Verfolgte des Nationalsozialismus, die in das Pflaster der Straßen gesetzt werden.
Sievers setzt die Chancen in ländlichen Gemeinden höher an. 680 Menschen hätten die Ausstellung gesehen, die die Rehburg-Loccumer Initiative gezeigt habe? Das müsse doch einmal proportional
betrachtet werden – wie viele Menschen seien in einer großen Stadt notwendig gewesen, um einen so hohen Anteil der Bevölkerung zu interessieren? Andererseits könne es auch leichter passieren,
dass die Bevölkerung auf dem Land solchen Initiativen ablehnend gegenüberstehe – so mancher sei dort noch persönlich oder über seine Familiengeschichte involviert. Die Erinnerung brauche Zeit,
fügte Meister hinzu. Mehr als ein halbes Jahrhundert habe es gebraucht, bis ein Mahnmal in der Hauptstadt aufgestellt worden sei. Und noch vor zehn Jahren, hätten Pastoren aus der Umgebung von
Bergen-Belsen ihm erzählt, seien sie auf massive Ablehnung gestoßen, wenn sie an die Erinnerung rühren wollten.
Zu den Stolpersteinen habe er eine Position, die „nicht Fisch noch Fleisch“ sei, sagte Sievers. „Es gibt kein richtig oder falsch, sondern nur die Meinung der Familien“, ist seine Ansicht. Wollten die Familien der Opfer beziehungsweise die zuständigen jüdischen Gemeinden die Verlegung der Steine, so unterstütze er das. Stimmten sie dagegen – dann beziehe er auch diese Position. So lange solche Projekte begleitet würden, mehr als nur ein Stein verlegt und nach den Biografien geforscht werde, halte er die Projekte für gut. Dabei, sagte Meister, stehe aber auch die Verweildauer der Stolpersteine im Raum. Ein oder zwei, drei oder vier Generationen? Er meine, dass immer dann, wenn eine Dorfgemeinschaft sich damit auseinandersetze, auch die Nachhaltigkeit der Erinnerung gegeben sei.
Unterschiedliche Aspekte ihres Projekts versuchte die Stolperstein-Initiative mit einem Einschub in die Diskussion darzustellen: mit der Darstellung von überlieferten Szenen aus der jüdischen
Gemeinde Rehburg. Mit Antworten auf die Motivation, sich an dem Projekt zu beteiligen. Mit den Worten des Nachfahren einer überlebenden Jüdin, dass es Menschen geben müsse, die sich kümmern, um
eine bessere Zukunft gestalten zu können. Mit Erfahrungen aus Begegnungen innerhalb des Projekts und mit der Frage, ob es nicht auch wichtig sei, sich mit Mitläufern und Tätern
auseinanderzusetzen – was zu spontanem Applaus führte.
Eine sehr dichte Diskussion, ein nachdenkliches und zum Nachdenken anregendes Gespräch, wie Anhelm es zusammenfasste, ging mit einem guten Wunsch zu Ende: Der Jude in der Runde, Jonah Sievers,
wünschte den Christen ein schönes Weihnachtsfest.
Die Rehburg-Loccumer Stolperstein-Initiative bereitet sich unterdessen auf ihre nächsten Aktionen vor: ab Sonnabend, dem 17. Januar 2015, zeigt sie ihre Ausstellung zu Rehburg-Loccumer Juden im
Religionspädagogischen Institut Loccum.
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