„Wenn ich mir die Vergangenheit ansehe – was hat das eigentlich mit mir zu tun?“ Hochaktuell ist diese Frage durch den antisemitischen Anschlag in Halle für einen der Workshops der Deutschen JuniorAkademie in der Evangelischen Heimvolkshochschule Loccum (HVHS) geworden. Sie haben sich mit der Geschichte der jüdischen Gemeinde Rehburg auseinandergesetzt – und die Frage nach deren Bedeutung für heute gestellt.
Langsam, vorsichtig, gründlich ist die Annäherung an das Thema gewesen. Zehn Jugendliche, Durchschnittsalter 13 Jahre, wollten sich mit dieser jüdischen Spurensuche auseinandersetzen, die eines
der Themen der JuniorAkademie vom 11. bis 18. Oktober 2019 war. JuniorAkademie – dazu lädt die HVHS seit einigen Jahren Jugendliche ein, die Lust darauf haben, in den Ferien mehr zu
erfahren und auch mehr zu erleben, als der Schulalltag ihnen bietet. Eine ereignisreiche Woche steht denjenigen bevor, die dabei mitmachen wollen und mitmachen kann, wer sich um einen der Plätze
bewirbt und Empfehlungen mitbringt. Denn teilnehmen sollen Jugendliche, die besondere Begabungen haben, die gefördert und auch gefordert werden.
Engagiert und neugierig sind die Jugendlichen also, die sich auf solch eine arbeitsreiche Woche einlassen und unter drei Themen konnten sie wählen. Einen Workshop gab es, der auf Chemie, einen anderen, der auf kreatives Nachdenken über wirtschaftliche Prozesse abzielte. Und eben die „Spurensuche“, die nach Antisemitismus, Rassismus und Ausgrenzungen heute fragte.
Die Erkundung von Biografien ehemaliger jüdischer Rehburger in der Geschichtswerkstatt unseres Arbeitskreises stand am Anfang des Prozesses. Wer waren sie, welches ihre Schicksale? Und: Gibt es daraus etwas zu lernen für heute?
Die überwiegende Ansicht nach den Stunden in der Geschichtswerkstatt war klar: Was damals geschah, sollte weitererzählt werden. Wie die Ausgrenzungen der Juden damals begannen, wie die Propaganda der Nazis die öffentliche Meinung beeinflusste und welche Auswirkungen das bis in die kleinsten Kommunen hatte – und auf das Leben miteinander von Juden und denjenigen, die keine Juden waren. „In der Schule wird ein Freund von mir gemobbt bis hin zur Androhung von Prügel. Nur, weil er gesagt hat, dass er homosexuell ist“, erzählte ein Mädchen. Auch wenn niemand aus der Gruppe bewusst jemanden jüdischen Glaubens kannte – Ausgrenzungen, merkten alle, hatten sie irgendwo und irgendwie doch schon einmal erlebt. Das deutlich zu machen und in eine Inszenierung umsetzen, war die Aufgabe, die sie sich stellten – mit Poetry-Texten, mit Video-Clips und einer Performance, die zur Präsentation der Ergebnisse am Ende der JuniorAkademie vorgetragen werden sollte. Keine einfache Aufgabe, denn Hier und jetzt sollten mit dem Damals verknüpft werden.
Hier und jetzt – das mündete schließlich in eine Demo nahe Rehburgs Marktplatz. „Bunt statt braun“, „Gegen das Vergessen“, „Die Welt gehört niemandem allein“ und andere Sprüche hatte die Gruppe
auf Plakate geschrieben – und Texte entworfen, die in den Videos diese Botschaften untermalen sollten. Zuvor schon hatten sie die Juden Rehburgs zum jüdischen Friedhof getragen oder vielmehr
deren Schattenrisse, die unser Arbeitskreis entworfen hat.
„Ich trage Walter!“ – Von der Geschichtswerkstatt bis zum Friedhof war es ein Stück Schwerarbeit, die lebensgroßen Figuren über einen Kilometer zu tragen. Beziehungen zu diesen Menschen hatten
die Jugendlichen aber längst entwickelt. Walter, Paula, Else, Selma, Jakob und Jeanette gingen gemeinsam mit ihren tragischen Geschichten mit den Jugendlichen auf die Reise und landeten
schließlich auch wieder vor den Häusern, in denen sie einst wohnten. Walter tragen – eine Art Ehrensache. Die Stolpersteine zur Erinnerung an diese Menschen putzten sie dort und legten Rosen
nieder – um am nächsten Tag per Skype ein Interview mit einer der Nachfahrinnen der jüdischen Familien aus Rehburg zu führen. Dabei ging die Reise bis nach Israel, wo aufmerksam und erschreckt
Übergriffe auf Juden in Deutschland beobachtet werden.
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