22. November 2019. Erinnerung ist das eine, was unser Arbeitskreis Stolpersteine Rehburg-Loccum mit der Verlegung von Stolpersteinen für die jüdische Familie Busack bezweckt hat. Gerade
heutzutage daran erinnern, um Mut zu machen, sich gegen solche Tendenzen zu stellen, die in der NS-Zeit der Nährboden des Holocaust waren, ist das andere.
Für Bergkirchen ist es die erste Verlegung eines Stolpersteins gewesen und die vielen Menschen, die auf die Straße ausweichen mussten, weil der Platz auf dem Gehweg nicht mehr ausreichte, harrten geduldig aus bis der Künstler Gunter Demnig vorfuhr. Er, der bereits mehr als 70.000 Steine zur Erinnerung an Opfer der Nationalsozialisten in das Pflaster von Straßen gelegt hat, war von einem Stau erwischt worden. Im Gepäck hatte er einen Stein für Jeanette Busack, jüdische Einwohnerin in Bergkirchen, dort wohlgelitten und dennoch nicht davor gefeit, aus dem Dorf heraus in ein Konzentrationslager deportiert und ermordet zu werden.
Der Bergkirchener Ingo Harmening hatte lange recherchiert zur Geschichte der Familie Busack. Um sein Ziel zu verwirklichen, Stolpersteine für diese Familie verlegen zu lassen, hatte er sich dem Arbeitskreis Stolpersteine Rehburg-Loccum angeschlossen und das aus gutem Grund: Ein Sohn jener Jeanette, sowie dessen Frau und Tochter hatten zur NS-Zeit ihre letzte freiwillig gewählte Wohnstätte im benachbarten Bad Rehburg, so dass Stolpersteine für sie dort verlegt werden konnten. Auch diese drei sind ermordet worden: Sohn Erich als Euthanasie-Opfer in einer Gaskammer in Brandenburg, Schwiegertochter Else und Enkelin Herta im KZ Stutthof – weil sie jüdisch waren.
Harmenings Initiative brachte in Bergkirchen wohl 100 Menschen auf die Straße, Bürgermeister Joachim Schwidlinski führte die Notwendigkeit solcher Erinnerung an, Harmening verlas das Schicksal von Jeanette und Gesang zu der Zeremonie gab es vom Gemeindechor WiSchBeWö. Mit dabei waren auch Angehörige der Familie Busack, die Harmening in Westfalen gefunden hatte. Jeanettes Mann Julius war ihr Urgroßvater gewesen. In Bergkirchen waren die sechs Familienmitglieder Busack zuvor nie gewesen, hatten von ihren Eltern kaum jemals etwas erzählt bekommen von diesem Teil der Familie. Ob ihre Eltern und Großeltern sie hatten schützen wollen? Ob sie hatten ausblenden wollen, was geschehen war? Nicht daran erinnert werden? „Dieses Kapitel ist für mich noch lange nicht abgeschlossen“, sagte einer aus der Runde, als sie sich nach langen Gesprächen von den Arbeitskreis-Mitgliedern verabschiedeten. Der letzte Besuch in Bergkirchen und Bad Rehburg soll es für sie nicht gewesen sein.
Kennenlernen konnten sich außerdem die Familien Busack und Freundlich. Vor dem Haus in Bad Rehburg liegen seit 2014 acht Stolpersteine für die jüdische Familie Freundlich. Deren einzige Überlebende, Tochter Paula Freundlich, war damals bei der Verlegung dabei. Zum Gedenken an ihre Freundin Herta konnte die mittlerweile 94-Jährige aus England nicht mehr anreisen – stellvertretend für sie kamen aber ihr Sohn Kurt und Enkel Samuel.
Drei Steine, drei Paten und von jedem dieser Paten einen Chor gab es zur Verlegung in Bad Rehburg: Intensiv hatten sich Schüler der Rehburger Wilhelm-Busch-Schule mit Herta Busack auseinandergesetzt – mit vielen Besuchen in unserer Ausstellung, mit Gesprächen und einem Projekttag für die Schule. Zu denjenigen, die das Schicksal der Familie vortrugen, gehörten auch drei der Schüler. Erich Busacks Stein hat als Paten das Bad Rehburger Maßregelvollzugszentrum. Auch dort war die Auseinandersetzung gerade mit Erichs Schicksal, der als psychisch kranker Jude ermordet wurde, intensiv – sowohl von Mitarbeitern als auch von Patienten. Die Patenschaft für Else Busacks Stein übernahm die Kirchengemeinde Rehburg/Bad Rehburg.
Dass es um mehr als das Gedenken geht, dass die Auseinandersetzung mit diesem Teil der Geschichte heutzutage immer wichtiger wird, machte Moderator Fritz Erich Anhelm deutlich: „Der Antisemitismus in unserem Land nimmt wieder zu. Hass und Drohungen, Gewalt bis zum Mord, Naziparolen und -symbole sollen erneut einschüchtern. Da bedeutet diese Erinnerung auch eine klare Ansage für heute und morgen: Das wollen wir nicht! Nie mehr! Wir wollen es nicht in den Parlamenten, nicht auf der Straße und nicht im Netz. Als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes haben wir ein politisches Mandat aus unserer Geschichte: Öffentlich gegen solche Tendenzen aufzustehen und sie zu verurteilen.“ „Das wollen wir nicht! Nie mehr!“, war es auch, was Kultusminister Grant Hendrik Tonne bei seinem Grußwort zum anschließenden Empfang in der „Romantik Bad Rehburg“ noch einmal betonte.
Ein kleiner Chor aus dem Maßregelvollzugszentrum sang zum Abschluss der Zeremonie an der Straße das Lied „Hine Ma Tov“. Ein altes hebräisches Lied ist das, übersetzt besagt es in etwa „Lasst uns alle brüderlich beisammen sein“ und wird in Israel zum Beginn des Shabbat oft gesungen – so passte es an diesen Ort, zu diesem Anlass und auch zu dieser Stunde: Die Dämmerung brach über Bad Rehburg herein an einem Freitagnachmittag und der Shabbat begann mit dem Wunsch nach Frieden und Eintracht.
Mehr Informationen zum Schicksal der Familie Busack sind hier hinterlegt.
Heidtorstraße 1
31547 Rehburg-Loccum
Tel.: (0174) 9139598
arbeitskreis@stolpersteine-rehburg-loccum.de
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