70.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und psychischen Beeinträchtigungen haben die Nationalsozialisten mit ihrer „Aktion T4“ ermordet, weitaus mehr noch durch gezielte Unterernährung und andere Torturen um ihr Leben gebracht. Das System, mit dem dieses ermöglicht wurde, haben Schüler mit einer Lesung bei unserem Arbeitskreis vorgestellt.
Viele Beteiligte brauchte das grausame System, das die Nazis unter der Bezeichnung „Euthanasie“ – also „guter Tod“ – inszenierten. Gesetze und Verordnungen mussten erlassen werden, Ärzte und Pfleger über Leben oder Tod entscheiden, Gaskammern gebaut, Krematorien betrieben werden. Und im Nachgang gab es „Trostbriefe“ für die Hinterbliebenen.
Von all jenen, die die 100.000fachen Morde möglich machten, und denen, die dann, wenn sie nicht produktiv genug, wenn sie keine „gesunden Volksgenossen“ waren, und somit nicht nur als entbehrlich, sondern als „lebensunwert“ angesehen wurden, ist in der Lesung erzählt worden. Von den Opfern und von den Tätern haben Annabell Walter, Ida Zielinski, Yvonne von Weyhe und Christof Meier Seite um Seite gelesen, hat Florian Schwarz die mutige Predigt des Bischofs von Galen vorgetragen, nach der 1941 die „Aktion T4“ beendet wurde, und hat Michael Las Casas die Lesung mit klagenden Violinen-Tönen untermalt, während Martina Olbrich Regie führte.
Dem Schlusswort von Annabell Walter „Wir stehen fassungslos vor den ‚Euthanasie‘-Verbrechen der Nationalsozialisten und kämpfen gegen das Vergessen“ ließ das Publikum Schweigen folgen – um zu
applaudieren, als das Team mit weißen Rosen in den Händen noch einmal auf die Bühne trat.
Eine szenische Lesung zum „Euthanasie“-Programm der Nazis mit dem Titel „Angekreuzt und aussortiert“ gestalten Jugendliche am Dienstag, 12. März 2019, 19.30 Uhr, in unserer Geschichtswerkstatt im Obergeschoss des Rehburger „Raths-Kellers“.
„Wollen Sie auch etwas über die anderen wissen?“ – Als unser Arbeitskreis 2014 mit den Recherchen zu den Opfern des Nationalsozialismus in Rehburg-Loccum begann, stellte eine ältere Einwohnerin
diese Frage. Damals waren wir auf Spurensuche nach den Juden, die einst hier gelebt hatten. Und dann kam die Frage nach den „Anderen“.
Menschen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen, mit Defiziten und auch psychischen Erkrankungen meinte die Frau und erzählte von einem Mädchen, das damals, als sie noch jung war und die
Nazis regierten, oft an der Straße vor ihrem Elternhaus in Bad Rehburg stand und allen Menschen zuwinkte. Geistig beeinträchtigt sei das Mädchen wohl gewesen – und eines Tages einfach
verschwunden.
So begann unsere Spurensuche nach Menschen, die heute als „Euthanasie“-Opfer bezeichnet werden. Nach solchen, die in die Psychiatrien oder „Kinderheilanstalten“ eingewiesen und systematisch
getötet wurden. Und auch eine Spurensuche nach den Tätern.
Mittlerweile liegt ein Stolperstein für ein solches „Euthanasie“-Opfer in der Mardorfer Straße in Rehburg – und in 2019 werden wir einen weiteren Stein verlegen lassen: In Bad Rehburg für Erich
Busack, der über die Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf in eine der Tötungsanstalten der Nazis geschickt wurde.
Im Vorfeld dieser Stolperstein-Verlegung bieten wir einige Veranstaltungen an, die sich mit dem auseinandersetzen, was als „Euthanasie“-Programm der Nazis bekannt ist und haben vier Jugendliche
gefunden, die sich mit diesem Teil der Geschichte auseinandersetzen und eine szenische Lesung dazu gestalten.
Lebensgeschichten von Opfern und auch von Tätern stellen die Jugendlichen in der Lesung vor. Sie machen einzelne Schicksale wie auch die perfiden Pläne der Nazis deutlich, die zur Ermordung von
geschätzten 300.000 Menschen aus Gründen der „Rassehygiene“ führten - die von dem System „angekreuzt und aussortiert“ wurden. Das Kreuz, das die Gutachter des „Euthanasie“-Programms hinter die
Namen der Menschen machten, kam einem Todesurteil gleich.
Martina Olbrich, Lehrerin am Gymnasium Stolzenau, hat die Texte zusammengestellt und führt Regie – wie schon in 2015, als wir diese Lesung zuerst aufführten. Musikalisch werden die Jugendlichen
von Michael Las Casas dos Santos unterstützt, und die Rolle des Predigers in der Lesung übernimmt Pastor Florian Schwarz. Der Eintritt zu der Lesung ist frei.
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