Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee die letzten überlebenden Gefangenen im KZ Auschwitz. Dieser Tag ging in die Geschichte ein und ist seit 1996 in der Bundesrepublik ein gesetzlich verankerter Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus.
Wir erinnern an Auschwitz mit Auszügen aus dem Buch des italienischen Juden Primo Levi „Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz“.
Beim Abzug der deutschen Lagermannschaft aus dem KZ Auschwitz und ihrer Flucht vor der vorrückenden Roten Armee wurden alle gehfähigen Gefangenen mitgenommen, um sie auf sogenannten "Todesmärschen" zu erschlagen oder sterbend unterwegs zurückzulassen.
Der Gefangene Primo Levi war an Scharlach erkrankt und wurde mit vielen anderen im Krankenbau von Auschwitz zurückgelassen. Im Lager hatten sie nun nicht mehr den Tod durch die Willkür der SS und deren Helfer vor Augen, sondern den durch Schwäche, Krankheit, bitterste Kälte und Hunger.
Primo Levi, italienischer Jude, Chemiker, 1943 als Partisan verhaftet, Deportation nach Auschwitz. Er erlebte die Befreiung am 27. Januar 1945, konnte nach Italien zurückkehren, wo er wieder als Chemiker arbeitete, aber auch zum Schriftsteller wurde.
In seiner "Geschichte von zehn Tagen" beschreibt er Leben und Sterben im Lager in der Zeit zwischen dem Abzug der Bewacher (18. Januar) und dem Einrücken der Roten Armee (27. Januar).
22. Januar: [...] Einige vielleicht versprengte, jedenfalls bewaffnete SS-Leute waren ins verlassene Lager eingedrungen. Sie fanden achtzehn Franzosen, die sich im Eßraum der SS häuslich eingerichtet hatten. Sie beseitigten alle methodisch durch Genickschuß, legten dann die verkrümmten Leichen der Reihe nach in den Schnee der Straße; und gingen wieder. Jene achtzehn Leichen blieben so dort liegen, bis die Russen kamen; keiner besaß die Kraft, ihnen ein Grab zu schaufeln.
Übrigens gab es jetzt in allen Baracken Betten, in denen Tote lagen, steif wie Stöcke, und keinem fiel es ein, sie fortzuschaffen. Der Boden war zu hart gefroren, man konnte keine Gräber ausheben; viele Leichen wurden in einem Splittergraben übereinander geschichtet, doch schon nach den ersten Tagen ragte der Haufen über den Rand empor, von unserem Fenster aus schauerlich anzusehen.
Nur eine Bretterwand trennte uns von der Abteilung der Ruhrkranken. Viele Sterbende gab es da und viele Tote. Der Fußboden war von einer Schicht gefrorener Exkremente bedeckt. Keiner von ihnen hatte mehr die Kraft, aus den Decken zu kriechen, um auf Nahrungssuche zu gehen, und wer es doch getan hatte, war nicht wiedergekommen. [...]
24. Januar: Freiheit. Die Bresche im Stacheldraht gab uns einen konkreten Begriff davon. Wenn man es richtig überlegte, so bedeutete das: keine Deutschen mehr, keine Selektionen,
keine Zwangsarbeit, keine Schläge, keine Appelle, und später vielleicht die Heimkehr.
Aber es kostete Anstrengung, sich davon zu überzeugen, und keiner hatte Zeit es zu genießen. Alles ringsum war Zerstörung und Tod.
Der Leichenhaufen vor unserem Fenster wuchs jetzt über die Grabenränder hinaus. Trotz der Kartoffeln waren alle äußerst schwach: kein Kranker wurde im Lager gesund, stattdessen bekamen viele noch
Lungenentzündung und Ruhr; wer nicht imstande gewesen war, sich zu regen, oder die Energie dazu nicht aufgebracht hatte, lag stumpf auf seinem Bett, starr vor Kälte, und niemand bemerkte es, wenn
er starb. [...]
25. Januar: [...] Draußen lag noch immer das große Schweigen. Die Zahl der Raben hatte sich vermehrt und jeder wußte, warum. Nur in großen Abständen ließ sich die Artillerie
wieder vernehmen. Alle sagten einander, daß die Russen bald, sofort eintreffen würden; alle waren sich dessen gewiß, aber keiner war fähig, es klaren Sinnes zu fassen. Denn in den Lagern kommt
einem das Hoffens abhanden und auch das Vertrauen in die eigene Vernunft. Im Lager ist das Denken unnütz, denn die Geschehnisse treten zumeist in unvorhergesehener Weise ein; auch ist es
schädlich, denn es erzeugt eine Sensibilität, die zu einem Quell von Schmerzen wird, aber ein gütiges Naturgesetz löscht sie aus sobald die Leiden ein bestimmtes Maß überschreiten. [...]
26. Januar: Wir lagen in einer Welt der Toten und der Larven. Um uns und in uns war die letzte Spur der Zivilisation geschwunden. Das Werk der Vertierung, von den triumphierenden
Deutschen begonnen, war von den geschlagenen Deutschen vollendet worden.
Mensch ist, wer tötet. Mensch ist, wer Unrecht zufügt oder leidet; kein Mensch ist, wer jede Zurückhaltung verloren hat und sein Bett mit einem Leichnam teilt. Und wer darauf gewartet hat, bis
sein Nachbar mit dem Sterben fertig ist, damit er ihm ein Viertel Brot abnehmen kann, der ist, wenngleich ohne Schuld, vom Vorbild des denkenden Menschen weiter entfernt als der grausamste
Sadist.
Ein Teil unseres Seins wohnt in den Seelen der uns Nahestehenden: darum ist das Erleben dessen ein nicht-menschliches, der Tage gekannt hat, wo der Mensch in den Augen des Menschen ein Ding
gewesen ist. [...]
27. Januar: [...] Die Russen kamen, als Charles und ich Sómogyi ein kurzes Stück wegtrugen. Er war sehr leicht. Wir kippten die Bahre in den grauen Schnee. Charles nahm die Mütze
ab. Mir tat es leid, daß ich keine hatte. [...]
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