Geb. 1.8.1879
Gest. 18.11.1941
Stolperstein verlegt in:
Rehburg, Mardorfer Straße
Hier wohnte
HEINRICH DÖKEL
Jahrgang 1879
Eingewiesen 11. Februar 1941
Heilanstalt Wunstorf
„verlegt“ 1. August 1941
Heilanstalt Eichberg
ermordet 18. November 1941
Das steht auf dem Stolperstein, den der Künstler Gunter Demnig gegenüber der Mardorfer Straße 25 in Rehburg verlegt hat. Dort hat Heinrich Dökel gelebt, gemeinsam mit seiner Ehefrau Sophie, die er am 9. April 1905 in der Kirche in Rehburg heiratete. Dort sind dem Paar in den Jahren 1906 bis 1926 neun Kinder geboren worden.
Heinrich Dökel hatte eine kleine Landwirtschaft, mit der er den Lebensunterhalt für seine große Familie bestritt. Nebenbei war er noch „Produktenhändler“, wie man es damals nannte. Er handelte mit Altmetallen. Und arbeitete auch bei größeren Bauern im Ort.
In den Jahren des Ersten Weltkrieges war er Soldat.
Die Ehe von Heinrich und Sophie Dökel war wohl nicht glücklich. Die Konsequenz für Sophie war, dass sie ihren Mann im Jahr 1926 gemeinsam mit den Kindern verließ. Wohin sie zog, wie es ihr und ihren Kindern ergangen ist – dazu haben wir kaum etwas in Erfahrung bringen können. Was wir wissen ist, dass zwölf Jahre später, 1938, die Scheidung rechtskräftig wurde.
Nun auf sich allein gestellt, ließ Heinrich Dökel Haus und Hof verkommen.
Das ist wohl einigen Rehburgern ein Dorn im Auge gewesen. Allen voran dem Bürgermeister der Stadt, Seppl Günter, der von der NSDAP 1938 eingesetzt worden war. Günter war es vermutlich, der Meldung machte über diesen „Schandfleck“ in der Stadt. In Briefen, die Heinrich Dökel später aus der Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf heraus schrieb, machte er jedenfalls den Bürgermeister für seine Lage verantwortlich. Die Meldung von Günter sollte Konsequenzen für Heinrich Dökel haben – und letztlich bezahlte er das mit seinem Leben.
Als erste Konsequenz bekam Heinrich Dökel am 8. Dezember 1938 in seinem Haus Besuch von Oberarzt Klein, einem Arzt der Landes-, Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf. Klein erstellte nach dem Gespräch mit ihm ein Gutachten, das er dem zuständigen Amtsarzt in Nienburg zusandte:
Bei Heinrich Dökel könne von einer Geistesstörung gesprochen werden. Das zeigten auch die Verhältnisse an Ort und Stelle. Seine Aufnahme in eine Anstalt sei angebracht. Zur Regelung der Vermögensverhältnisse könne ein Pfleger bestellt werden.
Mehr als ein Jahr später, am 29. April 1940, schrieb der Nienburger Amtsarzt seinerseits ein Gutachten. Dieses Gutachten fußte lediglich darauf, dass er sich Haus und Stallungen vor Ort angesehen hatte und bezog sich ansonsten auf das Gutachten des Wunstorfer Arztes. Der Nienburger Arzt hatte bei seinem Besuch in der Mardorfer Straße Heinrich Dökel nicht angetroffen – dennoch meinte er, eine Diagnose stellen zu können:
Der Diagnose von Oberarzt Klein schließe er sich an, nachdem er die Behausung Dökels besichtigt habe. Er drängte auf eine Entmündigung des Mannes, den er noch niemals zu Gesicht bekommen hatte.
Und so geschah es tatsächlich: Das Amtsgericht Stolzenau entmündigte Heinrich Dökel am 2. September 1940. Als Zeugen sagten aus: Bürgermeister Günter und Polizist Tönsing aus Rehburg.
Rund fünf Monate später, am 11. Februar 1941, wurde Heinrich Dökel in die Landes-, Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf eingewiesen. Nach Aussage von Zeitzeugen wurden sein Bauernhof unmittelbar darauf verkauft und das Haus abgerissen.
In der Psychiatrie in Wunstorf fügte sich Heinrich Dökel aber nicht in sein Schicksal. Vielmehr begann er, Briefe zu schreiben, in denen er gegen seine Einweisung protestierte. Er suchte Mittel
und Wege, um wieder zurück nach Rehburg zu kommen. So schrieb er etwa am 15. Juni 1941 an die Rehburgerin Marie Suer:
„Hiermit möchte ich Dir mitteilen, dass ich am 8.5. an den Regierungspräsidenten in Hannover über meine jetzigen Verhältnisse und Zustände geschrieben habe, und hoffe, dass ich bald eine
Nachricht erhalte. Ich bitte dich, mit dem Polizisten Heinrich Klod näher in Verbindung zu treten, auch mit Heinrich Busse und Tischlermeister Ernst Meier. Dieselben werden vielleicht etwas
Näheres erfahren haben und können in irgendeiner Weise mit helfen für meine Befreiung.“
Ebenfalls mit Datum vom 15. Juni 1941 schrieb Heinrich Dökel an das Provinzial-Landes-Direktorium in Hannover. Er äußerte die Vermutung, dass Bürgermeister Günter für seine Lage verantwortlich sei und bat um Unterstützung für seine Befreiung.
Am 4. Juli 1941 schrieb er einen Brief an die Direktion der Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf. Er zweifelte das Gutachten des Amtsarztes aus Nienburg an und nannte Zeugen aus Rehburg, die über sein geistiges Verhalten aussagen könnten. Das waren der Bauer Heinrich Witte, Bauer Huckemeyer, Forstaufseher Mackensen, Bauer Friedrich Busse sowie der ehemalige Bürgermeister Ernst Meßwarb.
Er sagte weiterhin, dass er im November/Dezember 1940 der behördlichen Anordnung Folge geleistet und allen Unrat von seinem Grundstück in Rehburg beseitigt habe.
Darum verlange er auch seine sofortige Freilassung aus der Anstalt.
Ebenfalls im Juli 1941 schrieb Heinrich Dökel an die Staatsanwaltschaft Verden und erhob Klage gegen den Verkauf seines Hauses und seiner Grundstücke. Er erhob wieder Vorwürfe gegen
NSDAP-Bürgermeister Günter – dieser habe aus Rache ihm gegenüber gehandelt. Zur Verteidigung seiner Rechte gab er erneut Rehburger Bürger als Zeugen an. Aber alle Eingaben hatten keinen Erfolg.
Wenige Tage später kam die Antwort des Regierungspräsidenten: Heinrich Dökels Beschwerde wurde zurückgewiesen, weitere Klagen als unzulässig erklärt.
Am 1. August 1941 wurde Heinrich Dökel von Wunstorf in die Landesheilanstalt Eichberg in Hessen verlegt. Diese Anstalt war einer der Bausteine der „Aktion T4“, mit der die Nazis geistig und
körperlich beeinträchtigte Menschen systematisch ermordeten. Eichberg diente als Zwischenstation auf dem Weg in eine der Tötungsanstalten.
370 der Patienten in der Wunstorfer Anstalt wurden für Transporte in Zwischenanstalten ausgewählt. Der erste dieser Transporte brachte am 27. September 1940 158 Patienten nach Brandenburg. Mit dem letzten der Wunstorfer Transporte wurden am 1. August 1941 76 Patienten nach Eichberg überführt – unter ihnen auch Heinrich Dökel. Eichberg diente als Zwischenstation für die Tötungsanstalt Hadamar.
In Eichberg wurden während der NS-Zeit 476 behinderte Kinder ermordet. Über die Sammelstelle Eichberg wurden 2019 Patienten nach Hadamar in den Tod geschickt. Ungezählte Patienten wurden
durch Unterernährung sowie überdosierte Medikamente ermordet.
Viele Schicksale aus Eichberg lassen sich nicht mehr nachvollziehen, da der Direktor der Anstalt sämtliche „Krankenakten“ verbrannte bevor die amerikanische Armee im März 1945 die verbliebenen
Patienten befreite.
Eine letzte lapidare Nachricht gibt es zum Schicksal von Heinrich Dökel, abgeschickt am 18. November 1941 von Eichberg nach Wunstorf:
„Der am 1. August 1879 geborene Heinrich Dökel aus Rehburg ist heute gestorben. Die Beerdigungskosten betragen 30 Reichsmark.“
Darüber, wie Heinrich Dökel - nicht einmal vier Monate nach seiner Verlegung nach Eichberg - „gestorben“ ist, können wir nur Vermutungen anstellen.
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